Wald-Theater
Die Natur bietet Kindern lebendigen Lebens- und Erfahrungsraum. Sie regt die Phantasie an, fordert zu vielfältiger Bewegung auf und fördert die Wahrnehmung mit allen Sinnen auf selbstverständliche Weise. So schafft sie wesentliche Voraussetzungen für eine gesunde körperliche und seelische Entwicklung.
Das Verhältnis der heute heranwachsenden Menschen zur Natur ist auch in unserer ländlichen Region geprägt durch Technisierung, exzessiven Medienkonsum, denaturierte Nahrung und mangelnde Bewegung. Gerade der Lebensraum Wald ist vielen Kindern nicht mehr aus eigener Erfahrung bekannt und wird – gefördert durch Pressekampagnen, die z.B. die Angst vor Zeckeninfektionen und Fuchsbandwurm schüren - zunehmend angstbesetzt wahrgenommen. Das Bewusstsein darüber, dass die lebendige, vielfältige Umwelt eine Grundvoraussetzung für eine lebenswerte Zukunft für uns und die nachfolgenden Generationen ist, kann sich aus Mangel an persönlicher Erfahrung mit der Natur nicht mehr ausreichend entwickeln. Kinder brauchen aber eigene Erfahrung mit der sie umgebenden Natur, um sich selbst als einen Teil der Natur zu begreifen, und auch, um sie lieben zu lernen und zu lernen, wie sie in angemessener Weise genutzt werden kann. Die daraus entstehende Sensibilität schafft den Nährboden für Naturschutzinteresse, denn was man liebt, das schützt man.
Der Wald ist als natürlicher Raum ganz besonders geeignet zum Erleben, Beobachten, Anfassen und Gestalten. Hier werden Entdeckungsreisen möglich. Die Förderung freudvollen, sinnlichen Erlebens in der Waldumgebung vermittelt spielerisch, sozusagen nebenbei, Wissen über Naturzusammenhänge. Berührungsängste gegenüber Tieren und Pflanzen werden abgebaut. Nicht das Waldsterben sondern das Waldleben steht im Projekt Wald-Theater im Mittelpunkt des Erlebten. Es geht nicht um die Hervorhebung von Problemen, die außerhalb des Einflussbereiches von Kindern liegen und sie unangemessen belasten würden, sondern es geht darum, in den Kindern Begeisterung für ihre natürliche Lebensumwelt zu wecken, deren Geheimnisse zu entdecken und die eigene Kreativität zu entfalten.
Sinnliche Umwelterfahrung, spielerisches Erforschen der Zusammenhänge, „Spielräume“ zu schaffen und die Wahrnehmung zu schärfen, das sind Ziele der Waldpädagogik und ebenso auch Ziele des Theaterspiels. Theater, Spiel, Experiment, die Lust am Beobachten und Mitwirken, an der Begegnung miteinander und mit der Umwelt, das Erleben und Entdecken eigener Kreativität und Produktivität und der eigenen Fähigkeiten aber auch der eigenen Grenzen, das alles lässt sich im Wald auf neue und spannende Weise wunderbar entwickeln.
So wird der Wald zur natürlichen Lebensbühne, die von nun an mit sensibilisierten Sinnen lustvoll betreten wird. In der Theaterarbeit werden die gewonnenen Einblicke spielerisch umgesetzt und in eine Form gebracht; Abschluss und Höhepunkt ist die Aufführung des gemeinsam entwickelten Theaterstückes oder der scenischen Kollage.
In unserer hoch technisierten Computer - und Autofahrergesellschaft leiden nicht nur Erwachsene an Bewegungsmangel. Zivilisationskrankheiten wie Haltungsschwächen, degenerative Erkrankungen des Bewegungsapparates, Herz- Kreislauferkrankungen, Infektanfälligkeiten, Wahrnehmungs- und Konzentrationsstörungen, Essstörungen, Allergien usw. entwickeln sich oft schon aus Lebensbedingungen der Kindheit. Die Wahrnehmung der Säuglinge wird häufig nicht mehr auf natürliche Weise geschult, indem sie geborgen am Körper der Mutter getragen werden und von dort aus die Welt entdecken können. Sie werden im Kinderwagen geschoben, sitzen im Babyswinger oder im Hopper, werden nicht selten sogar vor den Fernseher gesetzt, um ihren Bewegungsdrang zu zügeln. Bei Kindergartenkindern ist der Fernsehkonsum bereits zur unentbehrlichen Gewohnheit geworden, etliche Schulkinder verbringen am Wochenende viele Stunden mit Fernsehen und Computerspielen. Mit einem reichhaltigen Therapieangebot wird versucht, die Folgen dieser neuzeitlichen Kindheitsbedingungen , die sich unter anderem in Wahrnehmungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten wie Unruhe oder Konzentrationsmängeln äußern, zu beseitigen. Die Defizite der Kinder geraten dabei eher in den sorgenvollen Mittelpunkt der Betrachtung von Eltern, Erziehern und Ärzten als das schlummernde Potential, für dessen Entfaltung das Kind in einer zunehmend lebensfeindlichen Umwelt keinen Entwicklungsraum mehr hat. Die schleichende Umwandlung lebendiger Lebens- und Spielräume in Therapiewelten bestimmt heute den Alltag vieler Kinder.
Das Schwimmen und Turnen in Gruppen für Kleinkinder gehört heute zwar zum normalen Freizeitprogramm, kann aber nicht ausreichende Bewegung und das freie Spiel an der frischen Luft ersetzen, die eine Grundvoraussetzung für die Gesamtentwicklung, für gesundes Knochenwachstum und die Entwicklung des Immunsystems darstellen. Das UV Licht fördert die Bildung des Vitamin D3, Bewegung trägt zur Einlagerung des Calciums in den Knochen bei. Der Aufenthalt in der freien Natur zu allen Jahreszeiten und bei allen Witterungsverhältnissen fördert die Anpassungsleistung des Körpers an wechselnde Bedingungen, wirkt der „Verwöhnung“ durch kontinuierliche Heizungswärme entgegen, fördert die Sinnesentwicklung durch die Vielfältigkeit der belebten Natur.
Durch die Waldpädagogik wird Kindern die Freude am Aufenthalt im Freien wieder näher gebracht. Ihr Bewegungsdrang wird auf natürliche Weise gefördert. Indem sie in der Gemeinschaft die Natur entdecken und kreativ nutzen, spüren sie sich selbst mit ihren ungeahnten Fähigkeiten und lernen gleichzeitig ihre Grenzen kennen und akzeptieren. Sie erleben die Dimensionen der Naturerscheinungen wie Regen, Wind, Gewitter, Kälte und Wärme unmittelbar. Sie erfahren die Elemente Erde, Feuer, Wasser, Luft und lernen, die Geheimnisse der Natur mit allen Sinnen wahrzunehmen, sie als Geschenk zu entdecken, das nicht mit Geld zu bezahlen ist, sondern aus sich heraus existiert, so wie sie selbst.
Die gemeinsame Tätigkeit in der Natur mit dem Ziel der Aufführung eines Theaterstückes fördert einerseits das Wir - Gefühl in der Gruppe. Andererseits bietet die Vielfältigkeit der Natur und des kreativen Tuns unzählige Möglichkeiten der individuellen Entfaltung jedes einzelnen Kindes. So trägt die waldpädagogische Arbeit zur Entwicklung des persönlichen Potentials und eines gesunden Selbst - Gefühls bei und fördert das Sozialverhalten und die Integration in die Gruppe.